Technikaffin oder ewiggestrig?

Durch Zufall habe gerade ich einen schon älteren aber thematisch immer noch aktuellen Beitrag von Kerstin Hoffmann auf Medium mit dem Titel „Hört endlich auf, euch für eure eigene Rückständigkeit auch noch zu feiern!“ gelesen. Ein spannender Beitrag! An manchen Stellen habe ich genickt, an manchen Stellen gezögert und an manchen Stellen gezuckt – meint sie etwa mich? Es ist schon seltsam, wenn man einen Spiegel vorgehalten bekommt. Daher möchte ich mich hier mit dem Thema und dem Beitrag auseinandersetzen.

Manchmal technik- und medienaffin ……
Wenn ich so ganz grundsätzlich auf die letzten 15 Jahre zurückblicke, dann kann ich sagen, daß Internet und Digitalisierung für mich eine unglaubliche Bereicherung darstellen. Viele Dinge sind heute einfach und selbstverständlich, die „damals“ kaum erreichbar waren. Schon allein die Möglichkeit unterwegs mal eben nach alternativen Bus- oder Zugverbindungen zu suchen, Emails zu lesen oder auch zu beantworten, Nachrichten mitzubekommen, Öffnungszeiten oder Adressen von Museen herauszusuchen – all das sind Dinge, die mein Leben oft genug vereinfachen und bereichern.

Der wesentlichste Punkt ist für mich der praktisch unbegrenzte Zugang zu Wissen. Aber darüber hinaus ist es vor allem die Möglichkeit, sich jederzeit mit Menschen in aller Welt auszutauschen und zu vernetzen. Kommunikation unter Abwesenden ist natürlich nicht immer einfach, aber die vielen Kontakte, die sich „online“ ergeben haben, bereichern mein Leben auch offline – und das nicht nur als Gesprächsthema und ablenkende Beschäftigung.

Manchmal „ewiggestrig“ …….
Ja, und dann gibt es die Bereiche, in denen ich nicht „mitmache“ – mich also verweigere.

Bücher sind da ein wichtiges Thema – aber nicht weil Ebooks für mich keine Bücher sind, sondern weil ich persönlich gedruckte Bücher immer noch bevorzuge. Gedruckte Bücher lassen sich verleihen oder verschenken, es bekommt niemand mit ob und wann ich sie lese und sie sind unabhängig von einem bestimmten Gerät nutzbar. Dafür nehmen sie auch viel Platz in Anspruch und manchmal suche ich dann (leise vor mich hin grummelnd) nach dem Ort, wo das eine bestimmte Buch gerade sein sollte ….. Ja, ich sehe durchaus die Vorteile, für mich überwiegen die Nachteile. Aber: wenn ich mit anderen Menschen über Bücher spreche, dann geht es mir immer nur um die Inhalte und nicht um das Medium. Das ist in der Tat ein wichtiger Aspekt!

Das nächste schwierige Thema: Periscope und Livestreaming. Im Zusammenhang mit Barcamps habe ich mich dazu schon letztes Jahr ausführlich geäußert. Ich selbst bin nicht visuell veranlagt – insofern ist mein Bedürfnis nach Bildern/bewegten Bildern sehr schwach ausgeprägt. Ich kann dabei durchaus den Charme von Live-Aufnahmen oder Videos nachvollziehen und es gibt viele Bereiche, wo das sehr sinnvoll sein kann. Mir macht es aber stark zu schaffen, daß es praktisch keine „bilder- und aufnahmefreien“ Bereiche mehr gibt. Das Gefühl der völligen „Überwachung“ und „Aufzeichnung“ – gerade auch bei digitalen Veranstaltungen – schränkt mich in meiner Teilnahme- und Mitteilungsfreude ein, so daß ich mittlerweile einige Veranstaltungen meide.

Ähnlich schwierig ist es für mich mit Snapchat und anderen visuell ausgeprägten Diensten oder Tools. Ich bin ganz klar textlastig – ich lese gerne Speisekarten und kann lange in der Auswahl schwelgen, aber ich brauche keine Bilder, ich fotografiere mein Essen nicht und ich kann mich auch nicht für Dienste begeistern, wo es vorrangig um Bilder geht. Das mag ein Manko sein, aber das ist halt so.

Zwei Fragen der Perspektive!
Wie sieht es also aus? Es ist irgendwie eine Frage der Perspektive und da drängen sich tatsächlich zwei Richtungen auf: für wie technik- und medienaffin halte ich mich selbst und für wie technik- und medienaffin halten mich „die Anderen“?

Es war gut, über die Frage einmal nachzudenken. Ich schätze mich selbst nicht als technikfeindlich oder ewiggestrig ein, ich nutze relativ viele Tools und Dienste (sogar Hangouts), probiere auch immer wieder Neues aus, aber ich habe nicht wirklich das Bedürfnis überall dabei zu sein.
Aus der Perspektive der anderen ist es schon schwieriger. In meinem digitalen Umfeld bin ich sicher vorsichtig, langsam und vermutlich auch (bezogen auf die Technik- und Mediennutzung) langweilig. In meinem persönlichen und beruflichen Umfeld sieht das schon wieder anders aus. Aus dieser Ecke kenne ich dann auch Kommentare wie „redet Ihr denn noch miteinander“, „was macht man denn überhaupt bei Twitter“ und „ist das nicht nur Zeitvertreib?“. Vielleicht habe ich in einem gewissen Sinne eine „Brückenfunktion“ zwischen den beiden so unterschiedlichen Bereichen.

Neugierig bleiben!
Beim Lesen des Beitrags von Kerstin Hoffmann ist mir klargeworden, daß ein Stehenbleiben für mich am schlimmsten wäre. Ich möchte nicht in zehn oder zwanzig Jahren immer nur wiederholen, wie schön es doch früher bei Twitter, Xing und so weiter war. Andererseits möchte ich auch nicht (mehr) alles ausprobieren. Eigentlich möchte ich neugierig bleiben, immer wieder Neues entdecken und mich für diese Entdeckungen begeistern können. Die wesentliche Frage für mich ist also immer wieder: was habe ich Neues ausprobiert oder entdeckt?

Und bei Euch/Ihnen? Was haben Sie/habt Ihr Neues ausprobiert oder entdeckt?

Schere oder Schublade?

Es ist keine einfache Zeit – weder in der „analogen“ noch in der „digitalen“ Welt. Was auch immer man macht oder nicht macht, kann falsch sein oder falsch verstanden werden. Äußerungen oder Vorgehensweisen, die „gestern“ undenkbar waren, sind denkbar und sagbar geworden; Äußerungen, die „gestern“ bestenfalls ein Kopfschütteln geerntet hätten, führen manchmal zu heftigen emotionalen Reaktionen. Schon die Verwendung einzelner Worte wie Angst, Besorgnis oder besorgt ist nicht mehr harmlos, „Befürworter“ und „Gegner“ legen diese Begriffe gleichermaßen eng aus, urteilen negativ über Menschen, weil sie bestimmte Begriffe verwenden, weil Äußerungen ihnen mißfallen oder ihren eigenen Äußerungen (scheinbar) widersprechen. Dabei spreche ich hier nicht über Politiker oder Prominente, die ohnehin in der Öffentlichkeit stehen, auch nicht über Menschen, die sich beruflich mit Berichterstattung befassen, sondern über die „normalen Menschen“, die sich über Netzwerke wie Twitter informieren und austauschen.

Ich habe lange überlegt, ob ich über meine subjektive Wahrnehmung schreibe (und ja, vielleicht sollte ich das besser nicht tun), aber die Art und Weise, wie wir „online“ miteinander umgehen, beinflußt doch sehr stark die Frage ob und zu welchen Themen ich mich äußere.

Ja, und …… wir bewerten doch täglich!
Jeden Tag treffen wir Menschen viele Entscheidungen. Wir bewerten Situationen und Menschen, ohne groß über diese Bewertung nachzudenken – wohl die meisten dieser Einschätzungen und Bewertungen erfolgen unbewußt. Wir urteilen (unter anderem) auf der Basis unserer Erfahrungen, unserer Vorlieben, unserer Stimmungen. Jedes dieser Urteile ist subjektiv (auch wenn wir es oft anders empfinden und viele unserer Entscheidungen mit – vermeintlich – objektiven Gründen „erklären“ können), doch meistens haben unsere Entscheidungen, unsere Bewertungen wenig Auswirkungen auf andere Menschen. Ob ich jemanden sympathisch finde, jemandem auf Twitter folge (oder auch nicht), ein Geschäft verlasse, weil ich die Bedienung unfreundlich finde oder einer Empfehlung folge, ist – außer für mich – nicht wirklich wichtig. Auch die Frage, welche Kriterien bewußt oder unbewußt zu einer positiven oder negativen Bewertung führen, sind – außer für mich (soweit mir die Kriterien überhaupt bewußt sind) – kaum von Bedeutung.

Wortwahl oder gewählte Worte
Ein Indikator für die Einschätzung von Situationen oder von Menschen kann Sprache und die Verwendung von Sprache sein. Sprachwahl, Wortwahl, Aussprache und Lautstärke können in der analogen Welt Kriterien sein, die mich anziehen oder abschrecken und die damit Einfluß auf meine Einschätzung und Entscheidung über Sympathie oder Ablehnung, dafür oder dagegen, Bleiben oder Gehen haben. Meist entsteht ein Gesamteindruck, der sich in der analogen Welt aus sprachlichen und visuellen Eindrücken ergibt. In der digitalen Welt fehlt uns in vielen Bereichen die visuelle Komponente. Kommunikation und auch die „richtige“ Bewertung und Interpretation von Kommunikation wird damit schwieriger. In der realen Welt kann ich auf einen grimmigen Gesichtsausdruck anders reagieren als auf ein verschmitztes Lächeln oder ein ironisches Grinsen, in der digitalen Welt fehlt mir in stark textbasierten Bereichen (wie zum Beispiel Twitter) diese Möglichkeit, die Gefahr von Fehlinterpreationen und Mißverständnissen steigt mit dieser „Begrenzung“.

Trotzdem entscheidet selten ein einzelner Tweet oder gar ein einzelnes Wort über meine Einschätzung – Ausnahmen können grobe Schimpfworte oder Beleidigungen sein. Die Wortwahl an sich und nicht das einzelne „gewählte“ Wort ist für mich daher meist der Indikator um in einem textbasierten Umfeld zu entscheiden, ob ich mir vorstellen kann, mit jemandem ein Gespräch zu führen. Auch da gilt natürlich – wie überall im Leben – daß ich mich irren kann. Vielleicht übersehe ich manchmal Menschen, denen ich unbedingt folgen sollte, vielleicht folge ich manchmal Menschen, die zu hart urteilen und vielleicht kommt es daher, daß ich immer wieder bei Twitter mitbekomme, daß die Verwendung einzelner Worte oder Begriffe zu Fehlannahmen, Mißverständnissen und irritierenden Tweetaustäuschen von Menschen führt, die ich eigentlich für weltoffen, gebildet und wortgewandt (aus meiner Sicht positive Eigenschaften) halte.

Die Gefahr der Schublade ….
Ganz ehrlich: welchen ersten Gedanken hätten Sie/hättet Ihr, wenn ich im Zusammenhang mit der aktuellen politischen Lage zum Beispiel von Ängsten spräche, wenn ich erwähnen würde, daß ich besorgt sei? Die Wahrscheinlichkeit, daß ich in einer (möglicherweise falschen) gedanklichen Schublade landen würde, ist wohl groß und da liegt das Problem. Angst und Sorgen sind nicht auf die eine oder andere „Seite“ begrenzt. Ohne eine (vor allem kurze) Äußerung zu hinterfragen und in Verbindung mit anderen Äußerungen zu bringen, ist die Einordnung in die eine oder andere Schublade notwendigerweise „verkürzt“. Die bloße Tatsache, daß wir einen bestimmten Begriff oder eine bestimmte Formulierung (zum Beispiel „besorger Bürger“) als Leser (und im Zweifel unbekannte Empfänger) eines Tweets auf eine bestimmte Art und Weise (zum Beispiel „rechts“) wahrnehmen und einordnen, heißt nicht, daß der Schreiber des Tweets beim Schreiben des Tweets diese Art der Wahrnehmung erreichen wollte.

Kommunikation ist schon zu normalen Zeiten ein schwieriges Feld. Wie oft laufen Gespräche selbst mit Menschen, die man mag, schief? Wie oft wird aus einem Gespräch ein Zerwürfnis? Und wie schwierig ist es oft, kommunikative Gräben zu überwinden?

In der Kombination mit heiklen und hochkomplexen Themen wird Kommunikation unter Menschen, die sich nicht, nur wenig oder nur textbasiert „kennen“ noch einmal schwieriger. Es mag verlockend und vor allem verlockend einfach sein, die Entscheidung über das „gewählte Wort“ als Aussage über die Einstellung des „Senders“ genügen zu lassen. Damit würden aber die (dem Verfasser zumeist unbekannten) Leser eines Tweets jeweils für sich in Anspruch nehmen, daß ihre Wahrnehmung eines Tweets immer richtig ist, daß sie in der Interpretation nicht irren können. Bequem für die Leser, höchst unbequem und problematisch für die Text- beziehungsweise Tweetverfasser – zumal dies beinhaltet, daß nur die Sender/Verfasser die Verantwortung für eine gute und gelungene Kommunikation tragen.

Solange die Sender/Verfasser nichts von den „Schubladen“ mitbekommen, mag das noch relativ „harmlos“sein. Anders wird es, wenn Empfänger/Leser abwertend, angreifend oder verurteilend reagieren oder ihre Wahrnehmung beziehungsweise Interpretation als „die Wahrheit“ (X ist …..) verkünden. Immer wieder eskalieren dann „Twitter-Gespräche“ mit einer unglaublichen Geschwindigkeit zu verbal vermintem Territorium.

Aus der Perpektive der Betrachterin/nicht beteiligten Leserin läßt sich dies natürlich einfach feststellen und „verurteilen“. Mir selbst geht es oft ja nicht anders: bei manchem Begriff denke ich auch zuerst „wirklich?“ oder „nicht auch noch“ und überlege mir dann erst in einem zweiten gedanklichen Anlauf, ob ich nicht besser nachfragen sollte, ob ich den Sinn/die Botschaft richtig verstanden habe.

Warum das alles wichtig ist? Ganz einfach: die Gefahr der Einsortierung in Schubladen …..

…. führt zur Schere im Kopf
Die Schnelligkeit der Einordnung in „Schubladen“ und die damit oft verbundenen negativen und abwertenden Reaktionen und Diskussionen empfinde ich – auch als Leserin und Betrachterin – als belastend. Einerseits möchte ich mich zu vielen Themen und Geschehnissen äußern, andererseits befürchte ich, vorschnell und ohne Rehabilitationsmöglichkeit in einer aus meiner Sicht unpassenden (für mich negativen Schublade) zu landen.

Belastend ist dabei nicht die Tatsache, daß Texte/Tweets inhaltlich diskutiert werden oder daß inhaltlich ablehnende Rückmeldungen kommen. Im Gegenteil: das gehört zu einer guten Diskussion und ich habe in der Vergangenheit gerade online durch solche Diskussionen viel gelernt – und dies gerade dann, wenn ich völlig anderer Meinung als mein Diskussionspartner war. Ich finde es aber belastend, wenn aufgrund von Tweets die (vermeintliche) Einstellung von Menschen verurteilt und angeprangert wird. Ein „Du bist rassistisch“ empfinde ich als ungleich härter und verletzender als „Das klingt rassistisch. Meinst Du das so?“.

Selbst wenn ich mich noch so sehr bemühe, kann es immer sein, daß jemand meinen Text/meinen Tweet mißversteht. Auch mit diesem Text kann das durchaus passieren. Ich wünsche mir eine inhaltliche Diskussion, gerade auch um die „leisen Stimmen“, die in letzter Zeit so oft erwähnt werden, sichtbar zu machen und gleichzeitig habe ich Bedenken, daß Texte oder Tweets „angeprangert“ werden und ich auch auf der Seite der Menschen, denen die Themen Demokratie, Rechtsstaat und Meinungsfreiheit wichtig sind, alleine stehe. Die Folge ist, daß ich im Moment oft zögere und über manche Themen gar nicht schreibe. Die Alternative zur Schublade ist die Schere im Kopf – sozusagen die „Selbstzensur“. Eine schlechte Alternative – das möchte ich zugeben und deshalb hoffe ich, daß wir es schaffen, anders miteinander umzugehen!

Wie gehen Sie/geht Ihr damit um? Schreiben oder schweigen?