In dieser Woche bin ich schon zweimal über „Äußerungen“ gestolpert, die das Thema Überwachung mit dem Verhalten der Nutzer (Smartphones, Social Media) in Verbindung bringen. Zuerst fand ich in meiner Twittertimeline einen Link auf einen Artikel der Computerwoche zum Thema Überwachung mit folgender Kernaussage: Die Empörung ist groß, aber nur wenige haben ihr Verhalten geändert. Am gleichen Abend brachte auch das ZDF im heute journal einen Beitrag zu diesem Thema.
Das veranlaßte mich zu diesem Tweet mit folgendem Inhalt(der bisher ohne Antwort blieb):
Liebes @zdfheute – ich bin genervt! Überwachung soll nur deshalb ein Problem sein,weil wir Smartphones und Apps nutzen? Zurück in die Höhle?
Warum es mich nervt?
Der Umgang mit den eigenen Daten
Für mich werden – immer wieder – zwei völlig unterschiedliche Ebenen vermischt. Ja, wenn ich mich bei einer Plattform im Internet anmelde (Facebook, Twitter, Google stehen da beispielhaft) dann stimme ich deren Nutzungsbedingungen zu. Die meisten Menschen, die diese Netzwerke nutzen, haben die Geschäftsbedingungen vermutlich nicht gelesen. Und ja, es ist sicherlich richtig, daß ich für die Nutzung dieser Dienste mit meinen Daten „bezahle“. Keine Frage, daß diese Dienste in großem Umfang Daten sammeln und im Rahmen von Big Data auswerten. Die Frage, ob wir als Nutzer uns dieser Thematik und der damit verbundenen Folgen bewußt sind, ist spannend. Viktor Mayer-Schönberger hat dieses Thema in seinem Vortrag „Freiheit und Vorhersage: Über die ethischen Grenzen von Big Data“ bei der #rp14 sehr ausführlich und verständlich behandelt.
Insofern: ja, der Umgang mit den eigenen Daten ist ein sehr wichtiges Thema und wir sollten uns mit diesem Thema auch angemessen beschäftigen. Dazu gehört auch die Frage, ob und inwieweit Regelungen in Deutschland beziehungsweise Europa tatsächlich Anwendung finden und uns schützen können.
Bezahlung mit eigenen Daten = Zustimmung zur (staatlichen) Überwachung = Verzicht auf Grundrechte?
Mittlerweile ist es eine gängige (und meines Erachtens völlig richtige) Aussage, daß wir mit unseren Daten bezahlen. Ich stehe diesem Thema und der Frage, ob beziehungsweise in welchem Ausmaß ich „Daten“ einsetzen muß/möchte, durchaus kritisch gegenüber. Aber: selbst wenn ich völlig wahllos eigene Daten an kommerzielle Anbieter freigebe, stimme ich keinesfalls einer staatlichen Überwachung zu. Vor allem verzichte ich dadurch nicht auf meine Grund- und Menschenrechte. Mein Verhältnis zu einem kommerziellen Anbieter (wie zum Beispiel Google, Facebook oder Twitter) ist zivilrechtlicher Art. Der zwischen uns geschlossene Nutzungsvertrag mag unwirksame Bestimmungen enthalten, er mag Klauseln enthalten, die vernünftige Menschen nicht akzeptieren würden – aber: er bestimmt nur unser Rechtsverhältnis zueinander, er beinhaltet nicht die Zustimmung zur staatlichen Überwachung. Auch wenn ich – durch die Nutzung ausländischer Angebote – das Risiko der Überwachung durch andere Staaten/deren Organisationen in Kauf nehme, verzichte ich nicht auf meine „heimischen Grundrechte“ und eine rechtsstaatliche Vorgehensweise.
Die Grundrechte des Grundgesetzes haben schließlich einen anderen Zweck als der „Vertragsschluß“: es geht hier um das Verhältnis zwischen dem Menschen/dem Bürger und dem Staat. Wichtig ist hier vor allem die Abwehrfunktion vor staatlichen Eingriffen.
Konkret stellt sich daher die folgende Frage: warum sollte aus einem Vertrag mit einem Unternehmen (zum Beispiel einer Social Media Plattform) folgen, daß auch der Staat auf die gesammelten Daten zugreifen und diese für „seine Zwecke“ nutzen darf? Es ist eine Sache, daß der „lässige“ Umgang mit Daten dem Staat und seinen Organisationen sowie anderen Staaten und deren Organisationen die Sammelleidenschaft „erleichtert“, das heißt aber noch nicht, daß dies deswegen „in Ordnung“ ist. Indem ich einem Unternehmen das Sammeln und Nutzen meiner Daten „erlaube“, verzichte ich gegenüber „meinem“ Staat gerade nicht auf meine Rechte!
Verzicht der Nutzung = Ende der Überwachung?
Die Schlußfolgerung „wenn ihr Eure Smartphones und die Social Media Plattformen nicht mehr nutzt, dann gibt es auch keine Überwachung mehr“ ist zu einfach. Wenn „jemand“ (ein Staat, ein Geheimdienst) Informationen sammeln will, dann wird er einen Weg finden, an diese Daten zu kommen. Nur da, wo überhaupt keine Daten gesammelt werden (können), wäre Verzicht ein denkbarer Weg. Aber: Um einer Überwachung zu entgehen, müßten wir eigentlich auf alle Annehmlichkeiten der modernen Technik verzichten:
– keine Smartphones
– keine Internetnutzung (Browserverläufe)
– keine Emails
– keine Telefonate über das Festnetz (fallen auch unter das Thema „Vorratsdatenspeicherung“)
– keine Autos (eCall ab 2015)
– kein Strom (smarte Stromzähler)
– kein Fernsehen (Stichwort „Smart TV„)
– demnächst auch kein Arztbesuch mehr (Stichwort: elektronische Gesundheitskarte)
Und sicher ist diese „Liste“ nicht abschließend.
Warum „selbst schuld“ nicht weiterhilft …..
David Bauer hat Anfang Januar in einem sehr lesenswerten Beitrag kurz und prägnant begründet, warum wir die Überwachung nicht selbst schuld sind. Ich selbst fühle mich fatal an Diskussionen der 70er Jahre erinnert, in denen es um das Thema Frau und Minirock ging. Damals wurde Mädchen und Frauen eine Mitschuld an Übergriffen zugeschoben, heute sollen Smartphone- und Social-Media-Nutzer eine Mitschuld an der Überwachung tragen. Damit wird uns (und mit uns meine ich jetzt tatsächlich alle Menschen) ein ungeheurer Vorwurf gemacht, der uns von den eigentlich wichtigen Themen ablenkt. Auch wenn wir unser Verhalten ändern würden, so würde dies nichts an der Ausgangslage und an der damit verbundenen Gefahr für unsere Grundrechte, unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie ändern.
Mein Fazit
Nein, ich bin nicht selbst schuld an Überwachung.
Nein, ich habe der Überwachung nicht zugestimmt und ich glaube auch nicht, daß ich sie durch ein geändertes Nutzerverhalten verhindern kann.
Nein, auch wenn ich mein Smartphone für immer ausschalte, werde ich (wie alle anderen Menschen) weiter überwacht werden.
Nein, ich glaube nicht, daß wir so eine „Lösung“ für dieses Problem finden werden, ich habe eher das Gefühl, daß mir immer wieder Sand in die Augen gestreut wird.