#debatte beim ZDF

Gestern habe ich – eher zufällig – die neue Sendung „Debatte“ beim ZDF mitbekommen. Richtig begeistert war ich nicht, trotzdem denke ich, daß das Format durchaus interessante Ansätze hat.

Was hat mich gestern gestört?
1. Die Frage: Der Trailer zur Sendung stellte ganz stark auf das Thema „Rente“ ab. Durchaus ein wichtiges Thema. Die konkret formulierte Frage lautete jedoch „Leben die Alten auf Kosten der Jungen“ – eine solche Frage kann man auf das Thema Rente beziehen, man kann sie jedoch auch weiter verstehen. Die Antworten der Gäste während der Sendung machten das deutlich. Eine richtige Debatte hätte insofern eine eindeutigere Frage benötigt.

2. Die Gäste: ausgehend von der Frage „Leben die Alten auf Kosten der Jungen“ fehlte mir die eindeutige Pro- oder Kontra-Zuordnung. Weder die „Alten“ noch die „Jungen“ konnten mit dieser Frage ihrer Pro- bzw. Kontra-Rolle gerecht werden. In den vierminütigen Statements sprachen alle von anderen Aspekten – von Gesellschaft, Wirtschaft, Markt, Bankenrettung, Staatsverschuldung ….. Wenn schon beim „Eingangsstatement“ keine wirkliche Pro- oder Kontra-Haltung zu erkennen ist, dann ist die Debatte irgendwie schwierig. Lag es nur an der Frage? Oder lag es auch an den Gästen selbst?

3.  Die Länge der Statements: grundsätzlich fand ich die Idee gut, daß die Gäste ausreden durften. Die Dauer der Eingangsstatements fand ich – als Zuhörerin – allerdings sehr lang. Gerade die Zeit von 4 Minunten verleitet dazu, alle Themen, die man irgendwie unterbringen möchte, irgendwie anzusprechen – und das ist leider auch passiert. Eine Fokussierung auf die eigentliche Frage fand nur teilweise statt (wobei die Frage dazu ja auch „eingeladen“ hat).

4. Die Diskussionskultur: etwas genervt war ich, als die Älteren rhetorisch „zuschlugen“. Erst ließ Beck die Jüngeren praktisch nicht mehr zu Wort kommen (wie war das mit der Prämisse „wir lassen alle ausreden“?), dann taten sich Beck und Geißler gegenseitig mit „das geht ohnehin nicht“, „das ist nicht konsensfähig“ und ähnlichen Äußerungen hervor. Ja, das mag durchaus so sein – aber eine Aussage „das geht ohnehin nicht“ tötet jede Diskussion ab. An der Stelle hätte ich mir ein Eingreifen des Moderators gewünscht („warum geht das nicht?“) – um über Inhalte zu sprechen und nicht über Politikerfahrung.

5. Darbringung der Beiträge: eine solche Sendung steht und fällt ganz stark mit der rhetorischen Kompetenz der Gäste. Hier zeigten sich teilweise Schwächen, die durchaus (z.B. Nocun) mit dem Alter und der Nervosität zusammenhängen. Ich fand es schon „etwas mühsam“ dem Startbeitrag zu folgen, auch wenn ich die Argumente inhaltlich nachvollziehen konnte. Vielleicht sollte man dies bei der Gästeauswahl angemessen berücksichtigen, damit die Gäste auch ene faire Chance haben.

6. Abstimmung: ich persönlich hätte bei der Frage nicht wirklich pro oder kontra abstimmen können bzw. wollen. Und ganz ehrlich: mich hat weder das Ergebnis der Startabstimmung noch das Endergebnis wirklich interessiert.

7. Einbeziehung des Publikums: gut fand ich, daß das Publikum fragen stellen konnte und diese Möglichkeit auch genutzt hat. Das war eigentlich der Teil, der mir noch am besten gefallen hat, da es hier eben nicht darum ging, daß die Gäste sich gegenseitig „vorführen“ oder gegenseitig vorhalten, was doch alles nicht geht. Die Fragen aus dem Publikum fand ich auch ausgesprochen gut.

8. Social-Media-Einbindung: Tweets als Laufband fand ich eine gute Idee, das hätte man aber länger machen können, schließlich gab es unter #debatte genügend Tweets zum Thema. So war es nur eine sehr kleine Auswahl, die da langlief. Die Abstimmung per Twitter hat mich etwas genervt, da ich unter dem Hashtag #debatte dann vor allem die Pro- und Kontra-Stimmen durchscrollen mußte. Hier würde ich mir (wenn die Abstimmung so wichtig ist) eine andere Lösung wünschen, sonst macht das Mitdiskutieren unter dem Hashtag nicht wirklich Spaß.

Nächste Runde? Mal sehen, was das ZDF aus dem Format macht. Ob ich die nächste Sendung schaue hängt sicherlich stark vom Thema ab.

Kennen Sie TINA?

TINA geistert bereits seit geraumer Zeit durch Deutschland und vor allem durch die deutsche Politik. Und je mehr sich Menschen (egal ob Politiker/Politikerinnen oder nicht) auf TINA berufen, desto mehr Zweifel kommen mir. Halt – Sie wissen noch nicht, wovon ich spreche? TINA – die Abkürzung für „There Is No Alternative“ – in der deutschen Sprache beliebt als „es gibt keine Alternative“ oder „alternativlos“.  Der Ausdruck der „Alternativlosigkeit“ – auch als TINA-Prinzip bezeichnet – kennzeichnet ein irritierendes Weltbild, nämlich eine Welt in der es jeweils nur einen einzigen möglichen Weg gibt.

Aber ist das wirklich so? Gibt es wirklich in der heutigen Welt so viele Situationen, die nur einen Weg zulassen? Das ist die Frage, die mich schon seit einiger Zeit immer wieder beschäftigt und beim Nachdenken fielen mir relativ schnell folgende „Begriffspaare“ ein, die eine Auswahl gerade beinhalten:

Sein oder Nichtsein
offen oder zu
Kaffee oder Tee?
bleiben oder gehen
rauchen oder nicht rauchen
Alles oder nichts
Kopf oder Zahl
schwarz oder weiß
alt oder jung
arm oder reich
ja oder nein
wahr oder falsch?
reden oder schweigen
Gewinner oder Verlierer?

In all diesen Beispielen haben wir die Wahl – ja oder nein zu sagen, zu gehen oder zu bleiben, zu schweigen oder zu reden. Jede Entscheidung hat (natürlich) ihre Konsequenzen. Und manche dieser Konsequenzen werden wir lieber tragen als andere, manche Konsequenzen werden wir lieber vermeiden wollen. Aber in vielen Bereichen haben wir auch Spielraum – erst einen Kaffee, dann einen Tee, noch etwas bleiben und dann gehen, eine faire Lösung für alle Beteiligten vereinbaren (win-win). Warum tritt TINA also so oft „auf den Plan“? Der Begriff „alternativlos“ hinterläßt bei mir das unangenehme Gefühl, daß es überhaupt keine Alternative gibt (geben soll?) und dementsprechend auch keine Diskussion über das Thema notwendig ist und entsprechend werden zur Zeit auch Diskussionen zu manchen Themen (die ich wichtig finde) einfach „beendet“.
Erfreulicherweise wurde der Begriff „alternativlos“ – mit einer aus meiner Sicht ausgezeichneten Begründung – zum Unwort des Jahres 2010 gewählt. Eine „gute“ Wahl – aber wer erinnert sich wirklich noch daran? Vor allem: wer von uns stellt die angebliche „Alternativlosigkeit“ in Frage?

Zugegeben viele Entscheidungen, die wir heute treffen müssen, sind nicht so „banal“ wie die Frage „Kaffee oder Tee“. Und nein, ich beneide niemanden, der zur Zeit schwierige politische oder wirtschaftliche Entscheidungen treffen muß. Das ist eine große Verantwortung – und es gibt zwei Aspekte, die mir in diesem Zusammenhang wichtig sind:

1. Verantwortung: Schmid und Messmer haben in einem Beitrag hervorragend ausgearbeitet, daß Verantwortung in einer Funktion vor allem heißt, Antworten zu geben. Dazu gehört es, antworten zu wollen und zu können (persönliche Ebene) und auch antworten zu dürfen und zu müssen (Ebene der Organisation). Mir fehlen derzeit die Antworten zu ganz vielen Themen und das ist traurig, denn so habe ich nicht das Gefühl, daß die Entscheider ihre Verantwortung mir gegenüber wirklich wahrnehmen. Sätze mit denen Diskussionen als „beendet“ erklärt werden lassen mich traurig und ratlos zurück. Warum soll ich Menschen wichtige Aufgaben anvertrauen, wenn sie mir auf meine wichtigen Fragen, keine Antworten geben? Dabei geht es mir nicht nur um „inhaltliche“ Antworten – auch das Eingestehen noch keine eigenen Antworten zu haben ist für mich eine Antwort, mit der ich etwas anfangen kann.

2.“weiter so“: Beständigkeit ist in vielen Situationen eine sehr gute Sache. Aber – wie Cialdini in seinem Buch „Influence – The Psychology of Persuasion“ ausführt – hindert sie uns auch daran, Dinge in Frage zu stellen und „auszusteigen“ bzw. „nein“ zu sagen, wenn wir uns einmal verpflichtet haben. Das „Nein“ oder der „Ausstieg“ erscheinen uns dann oft eben nicht mehr als Alternative. Aber „alternativlos“ sind solche Situationen nicht. Zusätzlich zu den fehlenden Antworten fehlt mir hier bei vielen Themen die Bereitschaft, alle möglichen Alternativen zu durchdenken und dann eine Entscheidung zu treffen.

Zurück zu TINA: Nein, ich finde nicht, daß es so viele „alternativlose“ Situationen gibt (wenn überhaupt). TINA ist allerdings bequem, wenn man keine Diskussionen führen möchte, wenn man nicht begründen möchte, warum man an einer Entscheidung festhalten möchte („consistency“) – es ist das „Basta“ der Entscheider gegenüber den Bürgern und es fühlt sich genauso schlecht an, wie das „basta“ oder „darum“ von Erwachsenen gegenüber Kindern. Dabei schleicht sich dann die Frage ein: ist das das Bild, das Menschen in der Politik von anderen Menschen – insbesondere von Bürgern (also von potentiellen Wählern) – haben?

Kein wirklich schönes Bild ….. Aber: glücklicherweise verbleibt uns zumindest – wie Viktor Frankl es so treffend formuliert hat – eine Entscheidung: wir treffen die Wahl, welche Haltung wir einnehmen!