Wie Fragen wirken …..

Gestern war in Wuppertal ein Twittagessen. Aus terminlichen Gründen war ich nicht dabei, trotzdem gibt es einen – guten – Grund über dieses Twittagessen nachzudenken und zu schreiben. Anfang der Woche kündigte sich bei einer Organisatorin dieses Treffens plötzlich der WDR an – eine Ankündigung, die natürlich für Unruhe und gemischte Gefühle sorgte. Ich persönlich habe zu diesem Zeitpunkt die Meinung vertreten, daß ich einen Bericht des WDR über das Twittagessen grundsätzlich gut finde – schließlich sind die Themen Twitter und Twittagessen in der „breiten Bevölkerung“ noch nicht so bekannt.

Gestern war es dann soweit und ich habe mir gestern Abend (und auch noch mal heute Morgen) den Livebericht angeschaut. Ganz ehrlich: lieber WDR ich bin schwer enttäuscht!

Eigentlich schien die Ausgangssituation perfekt zu sein: Nette Menschen, die sich über Twitter bereits kennen, treffen sich in einem netten Lokal und werden von einer wertschätzend neugierigen Reporterin befragt. Ja, wenn es denn so gewesen wäre….. Denn zusätzlich zu der ohnehin vorhandenen Nervosität und Anspannung bei Live-TV-Aufnahmen gab es vermutlich auch einige „Regieanweisungen“ und aus meiner Sicht wenig wertschätzende Fragen. Hätte man (sozusagen mit „versteckter“ Kamera) bei einem normalen Treffen gefilmt, wäre ein ganz anderes Bild entstanden. Ja, mir ist klar – das ist ein normales Problem bei Fernsehaufnahmen. Aber wirklich auf die Palme bringen mich persönlich die Fragen, die meinen Twitterkontakten gestellt wurden!

Mit Fragen kann man die Atmosphäre eines Gespräches bestimmen – nicht umsonst heißt es „wer fragt, der führt“. Die negative Wirkung, die Fragen haben können, hat Bodenheimer in seinem Buch „Warum? Von der Obszönität des Fragens“ ausführlich beschrieben. Unter dieser Prämisse habe ich mir die Fragen aus dem WDR-Beitrag angeschaut: Schon die erste Frage „Warum treffen Sie sich? Warum reicht das nicht im Netz?“ klang für mich als Zuschauerin abwertend. Muß ich wirklich begründen, warum ich mich mit Menschen treffe? Diese Notwendigkeit einer Rechtfertigung, die eben in scheinbar harmlosen Warum-Fragen steckt, ist nach Bodenheimer „wesenhaft obszön“. Weiter zur nächsten Frage: „Wie enttäuschend ist das, wenn da jemand gegenübersitzt, den ich mir anders vorgestellt habe?“ Stopp! Was unterstellt der Fragende hier? Durch die Formulierung der Frage nimmt der Fragende hier – aus seiner Sicht – eine Antwort schon vorweg. Offen und wertschätzend ist ehrlich gesagt anders. Gut war dann die Frage „Was ist Twitter überhaupt?“ (wobei diese Frage vom WDR selbst beantwortet wurde). Die nächste Frage an meine Twitterkontakte war dann: „Das klingt so ein bißchen nach Sucht. Wie ist das, wenn Sie irgendwo weit weg sind und kein Netz haben. Wie schlimm ist das?“ Auch hier hat der Fragende ganz klar schon ein bestimmtes Bild vor Augen und wenig Interesse an einer Antwort der Befragten. Auch eine Antwort „nein, das ist nicht schlimm“ bekommt in Zusammenhang mit dem Begriff „Sucht“ einen negativen (und wenig glaubwürdigen) Anstrich. Das absolute Fragenhighlight kam dann gegen Ende des Beitrags: „Wie ist das denn hier? Ich meine, irgendwie sieht das ein bißchen autistisch aus – jeder tippt so. Unterhaltet Ihr Euch auch?“ Bei dieser Frage fehlen mir fast die Worte. Halten wir uns vor Augen: da kommt ganz kurzfristig zu einem Twittagessen ein Ü-Wagen des WDR und macht einen Live-Bericht. Natürlich können die Menschen am Tisch während der Übertragung nicht „normal“ miteinander reden – zum einen sind die Menschen nervös und angespannt (es ist nicht jeder täglich im Fernsehen), zum anderen würden laute Gespräche sicher auch den Bericht stören. Was also machen Menschen bei einem Twittagessen in dieser Situation? Richtig! Sie twittern! Aus dieser angespannten und natürlich künstlich wirkenden Atmosphäre eine solche Frage abzuleiten finde ich sehr traurig. Und mit Verweis auf Bodenheimer möchte ich sagen: diese Fragen haben die befragten Menschen bloßgestellt.

Mein Fazit? Ich bin enttäuscht! Es muß sich wirklich nicht jeder Mensch für Twitter und Twittagessen begeistern und es ist auch wichtig, Entwicklungen und Medien kritisch zu hinterfragen. Aber die Fragestellung an sich sollte meines Erachtens offen und wertschätzend sein. Das habe ich bei diesem Beitrag leider nicht so empfunden. Schade!

11 Gedanken zu „Wie Fragen wirken …..“

  1. Schöner Artikel!
    Es war ja sogar so, dass ich die Anweisung bekommen habe, den gesamten Live Bericht durchgehend zu twittern. Die Kamera sollte das als Überblendungen filmen. Natürlich entsteht dann so ein Bild, als würde jeder nur twittern, anstatt sich zu unterhalten. :-/

    1. Den Kommentar hab ich jetzt erst gesehen, also: eigentlich gings nur um das Anfangsbild, aber egal.
      Nach meiner Erfahrung hätten sich alternativ sicher nicht alle unterhalten, sondern zugehört, was wir reden, und das wäre extrem künstlich und steif rübergekommen.

  2. Hallo Astrid, interessant, wie der Bericht bei dir rüberkam und schade!!
    Bei meinen Kollegen und mir und auch bei Zuschauern (zb. meinem Mann: das sind ja total lockere, sympathische intelligente Leute und keine abgedrehten Jugendlichen) ganz bestimmt anders.
    Ihr müsst einfach mal überlegen, dass die Zuschauer keine Insider sind und wenn sie von einem Treffen von Twitterer hören, sicherlich ähnlich Fragen haben, wie die, die ich gestellt hab. Also: wofür das Treffen? Warum Netz, wenn man sich doch trifft um zu reden? Warum haben alle zwei Geräte auf dem Tisch liegen (die wurden nicht fürs Fernsehen hingelegt, sondern waren einfach da) und wenn Leute, die gemeinsam am Tisch sitzen mit dem Smartphone oder dem Tablet schreiben, wirkt das nun mal autistisch, nicht nur bei mir. Und zwei oder drei Leute sagten vorher, sie werden nervös, wenn sie länger nicht twittern können. Also, alles Fragen, die einfach meine ersten Eindruck wieder gaben und in der Regel ist das auch der Eindruck der Zuschauer.

    Ich denke mal, die drei Gesprächstpartner waren beredt, locker und zugewandt genug, um alle Eindrücke/Vorurteile aus dem Weg zu räumen.
    Das vielleicht Aspekte fehlen ist klar, in dreieinhalb Minuten kann man nun mal nicht alles erklären ;-))

    1. Hallo Henrike,
      danke für Deine Antwort. Gerade weil die Zuschauer keine Insider sind und den Bericht daher nicht hinterfragen können, finde ich die Wirkung der Fragen so problematisch. Ich empfinde es ehrlich gesagt auch nicht als Kompliment, wenn mir jemand sagt „das sind keine abgedrehten Jugendlichen“.
      Es geht auch gar nicht um die Frage, ob bzw. wie die Gesprächspartner rüberkamen, sondern für mich geht es um die Frage, wie die Fragen auf die Befragten wirken. Ein kleines Beispiel: Stell Dir vor, ich würde ein YouTube-Video über Dich und Deinen Beruf machen und Dich dafür live vor der Kamera befragen. Alternativ habe ich zwei Fragen vorbereitet:
      Alternative 1: Was ist für Dich wichtig, wenn Du einen Livebericht machst?
      Alternative 2: Warum ist es für Dich so wichtig, in einem Livebericht Deine Gesprächspartner vorzuführen und herabzuwürdigen?
      Mit welcher Frage fühlst Du Dich wohl? Wie geht es Dir mit der zweiten Frage?
      Vielleicht kannst Du an dieser Fragestellung erkennen, worum es mir ging.

      Ich bin ganz ehrlich sehr enttäuscht (und auch entsetzt) über den Bericht.

      1. Kann ich nachvollziehen! Allerdings hatte ich die offenen Fragen im Vorgespräche gestellt und hatte dann den Job, möglichst viele Aspekte in 3 1/2 Minuten unter- und rüberzubringen, d.h. ich hab das, was ich gelernt hab, versucht, durch eingeschränkte Fragen heraus zu arbeiten. Was meines Erachtens auch gelungen ist. Vor Ort hat sich übrigens keiner beschwert!
        Live eine Frage wie: „Was ist für dich wichtig beim Twittern“ stellen, würde höchstwahrscheinlich eine ellenlange Antwort nach sich ziehen, die vielleicht nicht mal auf den Punkt kommt.
        Und ich finde es schon wichtig, dass meine Gesprächstpartner sympathisch rüberkommen, deshalb hab ich auch die drei genommen, die im Vorgespräch von sich aus viel und gut erzählt haben.
        Vielleicht für die, die immer noch unglücklich sind:
        beim Fernsehen ist 70 % Optik, 20% Stimme und 10% Inhalt. Sprich: die Zuschauer werden heute gar nicht mehr so genau wissen, was da im Detail gesagt wurde. Da muss man echt nichts auseinanderpflücken, ihr kamt intelligent, lustig und sympathisch rübr; dass wäre bei langen Analysen, detailgetreuen Erklärungen und Hintergrundwissen wahrscheinlich nicht der Fall gewesen.
        Ist übrigens das erste Mal, dass ich mich so ausgiebig zu etwas erkläre, was ich gemacht hab; vielleicht liegts daran, dass mich die Kritik sonst nicht so erreicht 🙂

        1. Die Frage, ob sich jemand vor Ort „beschwert“ hat, ist für mich in dem Zusammenhang nicht wichtig. Bei einem Livebericht wäre es dafür dann ohnehin zu spät gewesen. Und auch wenn Optik und Stimme Deiner Ansicht nach 90% ausmachen heißt das für mich nicht, daß man mit abwertenden und bloßstellenden Fragen arbeiten muß.
          Ich finde es aber gut, daß Du Dich meiner Kritik stellst!

  3. Die Realität sieht doch eigentlich meistens ganz anders aus. Bei den letzten Twittagessen, an denen ich teilgenommen habe, waren die Gespräche so spannend und toll, dass ich gar nicht zum Twittern gekommen bin.

    Ich habe den WDR-Bericht nicht gesehen, aber was ich dem Artikel entnehme ist echt traurig. Da hat der WDR ein gefestigtes Bild, wie Twitterer zu sein haben und bestehen durch die Anweisungen sogar darauf, statt sich ein echtes Bild zu machen.

  4. „Vielleicht für die, die immer noch unglücklich sind:
    beim Fernsehen ist 70 % Optik, 20% Stimme und 10% Inhalt.“
    Das ist aber nun eine echte Bankrott-Erklärung des Fernsehens. Dann sollten diese Szenen, die der Optik dienen gleich in einem Studio gespielt werden oder ganz ausfallen. Spart auch Kosten und damit Gebühren!

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