TINA geistert bereits seit geraumer Zeit durch Deutschland und vor allem durch die deutsche Politik. Und je mehr sich Menschen (egal ob Politiker/Politikerinnen oder nicht) auf TINA berufen, desto mehr Zweifel kommen mir. Halt – Sie wissen noch nicht, wovon ich spreche? TINA – die Abkürzung für „There Is No Alternative“ – in der deutschen Sprache beliebt als „es gibt keine Alternative“ oder „alternativlos“. Der Ausdruck der „Alternativlosigkeit“ – auch als TINA-Prinzip bezeichnet – kennzeichnet ein irritierendes Weltbild, nämlich eine Welt in der es jeweils nur einen einzigen möglichen Weg gibt.
Aber ist das wirklich so? Gibt es wirklich in der heutigen Welt so viele Situationen, die nur einen Weg zulassen? Das ist die Frage, die mich schon seit einiger Zeit immer wieder beschäftigt und beim Nachdenken fielen mir relativ schnell folgende „Begriffspaare“ ein, die eine Auswahl gerade beinhalten:
– Sein oder Nichtsein
– offen oder zu
– Kaffee oder Tee?
– bleiben oder gehen
– rauchen oder nicht rauchen
– Alles oder nichts
– Kopf oder Zahl
– schwarz oder weiß
– alt oder jung
– arm oder reich
– ja oder nein
– wahr oder falsch?
– reden oder schweigen
– Gewinner oder Verlierer?
In all diesen Beispielen haben wir die Wahl – ja oder nein zu sagen, zu gehen oder zu bleiben, zu schweigen oder zu reden. Jede Entscheidung hat (natürlich) ihre Konsequenzen. Und manche dieser Konsequenzen werden wir lieber tragen als andere, manche Konsequenzen werden wir lieber vermeiden wollen. Aber in vielen Bereichen haben wir auch Spielraum – erst einen Kaffee, dann einen Tee, noch etwas bleiben und dann gehen, eine faire Lösung für alle Beteiligten vereinbaren (win-win). Warum tritt TINA also so oft „auf den Plan“? Der Begriff „alternativlos“ hinterläßt bei mir das unangenehme Gefühl, daß es überhaupt keine Alternative gibt (geben soll?) und dementsprechend auch keine Diskussion über das Thema notwendig ist und entsprechend werden zur Zeit auch Diskussionen zu manchen Themen (die ich wichtig finde) einfach „beendet“.
Erfreulicherweise wurde der Begriff „alternativlos“ – mit einer aus meiner Sicht ausgezeichneten Begründung – zum Unwort des Jahres 2010 gewählt. Eine „gute“ Wahl – aber wer erinnert sich wirklich noch daran? Vor allem: wer von uns stellt die angebliche „Alternativlosigkeit“ in Frage?
Zugegeben viele Entscheidungen, die wir heute treffen müssen, sind nicht so „banal“ wie die Frage „Kaffee oder Tee“. Und nein, ich beneide niemanden, der zur Zeit schwierige politische oder wirtschaftliche Entscheidungen treffen muß. Das ist eine große Verantwortung – und es gibt zwei Aspekte, die mir in diesem Zusammenhang wichtig sind:
1. Verantwortung: Schmid und Messmer haben in einem Beitrag hervorragend ausgearbeitet, daß Verantwortung in einer Funktion vor allem heißt, Antworten zu geben. Dazu gehört es, antworten zu wollen und zu können (persönliche Ebene) und auch antworten zu dürfen und zu müssen (Ebene der Organisation). Mir fehlen derzeit die Antworten zu ganz vielen Themen und das ist traurig, denn so habe ich nicht das Gefühl, daß die Entscheider ihre Verantwortung mir gegenüber wirklich wahrnehmen. Sätze mit denen Diskussionen als „beendet“ erklärt werden lassen mich traurig und ratlos zurück. Warum soll ich Menschen wichtige Aufgaben anvertrauen, wenn sie mir auf meine wichtigen Fragen, keine Antworten geben? Dabei geht es mir nicht nur um „inhaltliche“ Antworten – auch das Eingestehen noch keine eigenen Antworten zu haben ist für mich eine Antwort, mit der ich etwas anfangen kann.
2.“weiter so“: Beständigkeit ist in vielen Situationen eine sehr gute Sache. Aber – wie Cialdini in seinem Buch „Influence – The Psychology of Persuasion“ ausführt – hindert sie uns auch daran, Dinge in Frage zu stellen und „auszusteigen“ bzw. „nein“ zu sagen, wenn wir uns einmal verpflichtet haben. Das „Nein“ oder der „Ausstieg“ erscheinen uns dann oft eben nicht mehr als Alternative. Aber „alternativlos“ sind solche Situationen nicht. Zusätzlich zu den fehlenden Antworten fehlt mir hier bei vielen Themen die Bereitschaft, alle möglichen Alternativen zu durchdenken und dann eine Entscheidung zu treffen.
Zurück zu TINA: Nein, ich finde nicht, daß es so viele „alternativlose“ Situationen gibt (wenn überhaupt). TINA ist allerdings bequem, wenn man keine Diskussionen führen möchte, wenn man nicht begründen möchte, warum man an einer Entscheidung festhalten möchte („consistency“) – es ist das „Basta“ der Entscheider gegenüber den Bürgern und es fühlt sich genauso schlecht an, wie das „basta“ oder „darum“ von Erwachsenen gegenüber Kindern. Dabei schleicht sich dann die Frage ein: ist das das Bild, das Menschen in der Politik von anderen Menschen – insbesondere von Bürgern (also von potentiellen Wählern) – haben?
Kein wirklich schönes Bild ….. Aber: glücklicherweise verbleibt uns zumindest – wie Viktor Frankl es so treffend formuliert hat – eine Entscheidung: wir treffen die Wahl, welche Haltung wir einnehmen!