Geht das Grundgesetz jetzt in Rente?

Schon ziemlich früh begegnete mir heute in meiner Twittertimeline die Nachricht, daß das Grundgesetz heute 65 Jahre alt wird. Herzlichen Glückwunsch, liebes Grundgesetz! Aber – so unter uns – ist das nicht auch der Zeitpunkt, um in Rente zu gehen?

Nein, ich möchte das Grundgesetz nicht in Rente schicken. Aber die politische und gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahre macht mich sehr nachdenklich. Arbeiten und leben wir noch „mit“ den Grundrechten aus unserem Grundgesetz und den damit verbundenen Werten? Oder haben wir uns faktisch schon längst davon verabschiedet?

Ich erinnere mich ratlos und immer noch empört an die Diskussion um das „Supergrundrecht auf Sicherheit„, die ich im letzten Jahr verfolgt habe. Ich frage mich gleichzeitig, was aus dem vom Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung entwickelten Recht auf informationelle Selbstbestimmung geworden ist. Was ist mit der Meinungs- und Informationsfreiheit (Artikel 5), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13) und dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10), wenn ich an Themen wie Überwachung, Vorratsdatenspeicherung und Smart Metering denke. Ich frage mich, wer in allen diesen Fragen meine Rechte aus dem Grundgesetz schützt. Ja, wir können jetzt über den Anwendungsbereich der einzelnen Artikel und die rechtlichen Fragen trefflich streiten. Aber darum geht es mir heute nicht. Heute frage ich mich – gerade an diesem Ehren- und Jubeltag des Grundgesetzes: Haben wir unser Grundgesetz schon „in Rente“ geschickt?

Ich finde, es ist heute der richtige Tag, um darüber nachzudenken, welche Grundrechte und welche Werte wir auch in Zukunft für unser Leben und unsere Gesellschaft zugrundelegen wollen. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen und viele der technischen Entwicklungen möchte ich auch nicht missen. Gleichzeitig möchte ich mich den Entwicklungen, die auch eine negative beziehungsweise mißbrauchende Seite haben können, nicht ausliefern und auch nicht – auf der Basis vermeintlich höherer Werte – ausgeliefert sein. 1949 haben die „Mütter und Väter des Grundgesetzes“ aus einer schwierigen Situation heraus das Grundgesetz mit seinen Grundrechten entwickelt. Ich fände es schön, wenn wir gemeinsam überlegen, welche Werte und damit verbundenen Grundrechte uns heute wichtig sind und wie wir diese (auch verbindlich) umsetzen und verankern können, damit wir auf einer Basis des Vertrauens leben und arbeiten.

In diesem Sinne wünsche ich mir, daß das Grundgesetz auch die nächsten Geburtstage aktiv und voller Leben feiern kann!

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