Twittergespräch zu VDS und Überwachung

Am Freitag wurde das neue Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Ein Thema, das mich durchaus aufregt und dementsprechend habe ich auf Twitter auch ein paar deutlich ablehende Tweets geschrieben.Einer dieser Tweets löste ein spannendes Gespräch aus.

Thomas Michl retweetete meinen Tweet und Detlef Kreuz antwortete mir.

Seine Antwort hatte mich für interessanterweise zwei Ebenen – eine inhaltliche Ebene, in der es um das Thema Überwachung und VDS ging und eine kommunkative Ebene, eine „Einladung“ zum Twittergespräch. Diese Einladung habe ich (wie so oft) gerne angenommen.

Ich war mir am Anfang gar nicht sicher, ob mein Gesprächspartner die Vorratsdatenspeicherung auch ablehnt oder nicht. Schnell kamen wir nämlich vom Thema Smartphone auf die Frage, ob wir Unternehmen nicht dieselben Daten zur feien Verfügung stellen. Aus meiner Sicht ein von Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung oft genutztes Argument. Aber gerade weil da jemand Fragen stellte, die unbequem waren und weil mir jemand widersprach und meine Argumente hinterfragte, war das Gespräch gut. Ja, natürlich ist es nett, wenn jemand zustimmt. Aber wir entwickeln uns nur dann weiter, wenn wir uns selbst und unsere Überzeugungen auch immer wieder hinterfragen. Insofern war die Frage, ob meine Gesprächspartner meine Meinung zum Thema VDS teilen, gar nicht wichtig. Viel wichtiger war, daß sie sich auf ein offenes Gespräch mit mir eingelassen haben und mir dadurch auch wieder Fragen „aufgegeben“ haben, über die ich nun nachdenken muß (zum Beispiel: ist Datensammlung durch Unternehmen auch Überwachung? Wenn nein, warum nicht?).

Ein Großteil dieses Twittergesprächs läßt sich hier nachlesen.

So weit, so gut. Doch am Sonntag nahm unser Twittergespräch noch eine andere kommunikative Wendung. Ein weiterer Twitterer griff das Thema auf – Aufhänger war (soweit ich das nachvollziehen kann) der Tweet, das wir Unternehmen unsere Daten zur freien Verfügung stellen. Inhaltliche Ebene: wieder das Thema Überwachung und VDS, die kommunikative Ebene war für mich unklarer: der Beitrag „und das rechtfertigt einen Überwachungsstaat?“ ist zunächst erst einmal eine Frage. Ich hätte die „Frage“ vermutlich einfach mit einem „nein“ beantwortet. Ein Gesprächspartner von Freitag hat jedoch eher die „rhetorische Frage“ und damit die in der Frage beinhaltete „Unterstellung“ gespürt. Die „Frage“ war keine Einladung zum offenen Gespräch, sondern eher die Aufforderung sich zu erklären (zu rechtfertigen) und abzugrenzen.

Auch aus dieser Wendung (an der ich inhaltlich nicht beteiligt war) habe ich für mich eine wichtige Frage mitgenommen: können wir eigentlich noch offen mit Menschen diskutieren, die anscheinend oder tatsächlich anderer Meinung sind? Eine sehr wichtige Frage, die ich demnächst unbedingt aufgreifen muß.

Und wen es interessiert: meine Gesprächspartner am Freitag waren übrigen gegen VDS.

Schwarzer Tag!

Der heutige Tag ist ein „schwarzer Tag“, denn der Bundestag hat leider ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Ja, das Gesetz heißt jetzt anders – nämlich „Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“ – aber der Begriff ändert nichts am Inhalt.

404 Abgeordnete des Bundestages haben zugestimmt – eine denkwürdige Zahl, wenn man bedenkt, daß fehlerhafte Links so angezeigt werden und wir die 404-Seiten aus dem Internet gut kennen.

Was mich persönlich bedrückt sind die Grundannahmen, die hinter diesem Gesetz stehen.

Datenschutz ist Täterschutz
Bisher ging ich aufgrund der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts davon aus, daß Datenschutz ein aus Art. 2 in Verbindung mit Art. 1 Grundgesetz abgeleitetes Grundrecht ist. Ein Grundrecht, daß allen Menschen zusteht. Ja, wir können über die Frage diskutieren, was konkret unter Datenschutz fällt, wie wir den Bereich Datenschutz grundsätzlich – auch im Hinblick auf die Nutzung von Internetdiensten – gestalten wollen und wie/wodurch Datenschutz auch eingeschränkt werden kann. Aber: aus jedem Menschen, der sich auf ein Recht beruft, einen Täter zu machen, ist für mich weder nachvollziehbar noch akzeptabel. Insofern empfinde ich die Äußerung, daß Datenschutz Täterschutz ist als Angriff und als Unterstellung.

Menschenbild?
Ich frage mich mittlerweile ganz ehrlich, von welchem Menschenbild die Bundesregierung ausgeht. Ist ein Menschenbild, in dem jeder Mensch als (potentieller) Täter angesehen wird, noch ein Menschenbild, das die Würde des Menschen respektiert? Gerade die Frage nach dem Menschenbild ist wichtiger als es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn der „umfassende Zugriff“ auf den Menschen ist gerade kein Wesensmerkmal einer Demokratie, sondern von totalitären Staaten. Demokratien brauchen kritische Diskussionen – diese sind aber nur möglich, wenn die Menschen sich nicht überwacht fühlen. Überwachung führt insofern zu einer Schwächung der Demokratie.

Die Vertrauensfrage
Die erneute Einführung der Vorratsdatenspeicherung ist ein deutliches Zeichen des Mißtrauens des Staates gegenüber den Bürgern. Aber: warum sollten die Bürger dem Staat noch vertrauen? Die Aufrüstung des Staates zur ständigen Kontrolle der Bürger macht ein gegenseitiges Vertrauen unmöglich.

Vertrauen basiert auf mehreren Faktoren. Ausgehend von dem Buch „Erfolgsfaktor Vertrauen“ (bei dem es um eine Vertrauenskultur in Unternehmen geht) möchte ich folgende Aspekte betonen, die für Vertrauen wesentlich sind:

– Respekt vor anderen
– Ehrlichkeit
– Fairness
– Verantwortung für das eigene Verhalten
– Mitgefühl
– hohe Transparenz (als Zeichen von Anstand)
– Wahrnehmung der Bedürfnisse anderer
– Anerkennung und Akzeptanz von Gleichheit und Würde der Menschen

Konkret angewendet?
Wenn die Abgeordneten der Regierungsparteien mich als (potentielle) Täterin ansehen – und das tun sie siehe oben „Datenschutz ist Täterschutz“ – dann bedeutet die Anerkennung und Akzeptanz von Gleichheit und Würde, daß auch die Abgeordneten in gleichem Maße wie ich potentielle Täterinnen und Täter sind. Wir haben dann ein Menschenbild, das davon ausgeht, daß der Mensch von Grund auf böse ist und seine Handlungen kontrolliert werden müssen, damit er anderen nicht schadet. Das ist nach meinem Empfinden eine völlige Abkehr von der Idee der Menschenwürde.

Hohe Transparenz vermisse ich in vielen Themen – TTIP und NSA-Überwachung mögen als Beispiele an dieser Stelle reichen. Auch fehlt bis heute eine nachvollziehbare Erläuterung zur Notwendigkeit und Angemessenheit der Vorratsdatenspeicherung. Warum sollte ich jemandem vertrauen, der mir Dinge verheimlicht?

Ehrlichkeit und Fairneß? Reden wir über die wirklichen Gründe, warum #VDS eingeführt wird? Ich glaube nicht. Aber schlimmer noch finde ich, daß mit dem neu eingeführten Tatbestand der „Datenhehlerei“ auch der investigative Journalismus „beerdigt“ wird. Müssen Politiker dann nicht mehr ehrlich sein und keine Verantwortung für Ihr Verhalten mehr tragen, da es ja niemand mehr herausfinden und veröffentlichen darf?

Respekt, Mitgefühl und Wahrnehmung der Bedürfnisse anderer Menschen? Ich höre immer „wir haben ja nichts zu verbergen“. Ja, eben! Gerade weil wir nichts zu verbergen haben, gibt es keinen einzigen Grund, unsere Daten anlaßlos zu speichern. Warum müssen staatliche Behörden herausfinden können, wann ich mit wem telefoniert habe, insbesondere wann jemand einen Arzt, einen Psychotherapeuten, einen Journalisten oder einen Anwalt (Reihenfolge beliebig!) kontaktiert hat? Außerdem: wie stellen die staatlichen Stellen sicher, daß gespeicherte Daten nicht gehackt/mißbraucht werden können? Jede zusätzliche Datensammlung stellt einen großen Schatz für „böse Menschen“ dar ……

Fazit
Der Staat vertraut mir und uns allen ganz offensichtlich nicht, er hält unsere ständige Kontrolle für notwendig – denn wir könnten ja irgendetwas machen, was dem Staat „mißfällt“. Ja, lieber Staat – auch Du kannst ständig etwas machen, das mir mißfällt. Warum bitte sollte ich Dir vertrauen?

#Bildungstag bei Twitter

Ganz kurz und eher zufällig habe ich heute den Hashtag „Bildungstag“ bei Twitter erspäht – denn heute war der erste europaweite #Educationday beziehungsweise #Bildungstag auf Twitter. Ich habe – leider – wenig davon mitbekommen, trotzdem möchte ich ein paar Zeilen dazu schreiben.

Bildung …..
Schon der Begriff „Bildung“ ist sperrig. Es gibt keine allgemeingültige Definition dieses Begriffes, aber die meisten von uns verbinden Bildung wohl mit formalen Systemen wie Schule und Hochschule. Oft steht eher das (formale) Ergebnis im Vordergrund, weniger der Weg zum Ergebnis. Begriffe wie Allgemeinbildung, Einbildung, Ausbildung, Weiterbildung und Fortbildung unterstreichen dieses Verständnis, sie haben nur noch mit den Ideal von Humboldt oder Kant zu tun. Auch die Ankündigung von Twitter stellte einen eher formalen Bildungsbegriff – „Austausch zwischen Personen und Institutionen, die sich mit dem Thema Bildung beschäftigen“ – in den Vordergrund. Ja, sicher wichtig, aber …

Lernen mit Twitter
Viel spannender finde ich es, Twitter zum informellen Lernen zu nutzen. Dieser Aspekt ist heute – soweit ich das sehen konnte – nicht zur Sprache gekommen. Durch meine Twittertimeline habe ich schon sehr viel gelernt – sowohl in meinem Fachgebiet als auch in vielen anderen Bereichen. Ich habe spannende (rechtliche) Diskussionen mitbekommen, lese viele verlinkte Beiträge und Artikel, ich informiere mich über aktuelle Trends und neue gesellschaftliche, rechtliche und auch technische Entwicklungen.

Es ist eine Art großes Serendipity-Prinzip – ich finde Wissensperlen ohne sie konkret zu suchen und ich kann spontan entscheiden, ob ich diesen „Wissenshäppchen“ folge und mich damit beschäftige oder ob ich „wegschaue“. Ja, das kostet oft Zeit und manchmal erscheint es auch ineffizient, andererseits bekomme ich so sehr schnell sehr vieles mit, das ich an anderen Stellen (beruflich und persönlich) wieder nutzen kann.

Meine Twittertimeline ist daher – gerade weil „Lernen“ gar nicht im Vordergrund steht – ein phantastischer Lernort.

Die Wahl des Obertiers

Gestern, als ich gegen Abend einen kurzen Spaziergang machte, trat plötzlich ein Fuchs auf mich zu. Ich erschrak natürlich, doch er sagte sofort „Keine Angst, ich möchte Dir nur eine Geschichte erzählen.“ Es war eine unglaubliche Geschichte und deshalb schreibe ich sie auf, solange sie mir noch gut im Gedächtnis ist.

Eines Tages wollten die Tiere ein neues Obertier wählen. Der Bär, der schon lange das Obertier gewesen war, trat natürlich wieder zur Wahl an. Als großes und starkes Tier – so fand er – gebührte ihm die Wiederwahl. Aber was ist eine Wahl ohne Gegner? Das Wiesel, das schon länger im Rat der Tiere gemeinsam mit dem Bären gearbeitet hatte, trat ebenfalls zur Wahl des Obertieres an.
Zunächst konnten sich die Tiere nicht so richtig entscheiden, ob sie lieber den Bären oder das Wiesel als Obertier wählen wollten. Eine Stichwahl mußte her.

Nur wenige Tiere zeigten wirklich Interesse an der Wahl. Viele waren gelangweilt, resigniert und lustlos. Der Hund, der auf der Bühne des Waldes, das zweite Tier der bremisch-stadtmusikalischen Vereinigung war, hatte jedoch eine deutliche Meinung zu dieser Wahl. Damit möglichst viele Tiere diese Meinung mitbekamen ritzte er in seinen Baum – an dem immer viele Tiere vorbeikamen – eine deutliche Botschaft. Er warf (in derber Sprache) dem Bären den Winterschlaf und seine Liebe zu Honig vor, lobte die Flinkheit und Energie des Wiesels und sagte ihm eine glänzende Zukunft voraus, wenn es sich nur deutlich genug vom Bären fernhalten würde. Einige Tiere vernahmen die Botschaft, auch der Bär.

Der Bär war verletzt, sehr verletzt. Das war einerseits verständlich – denn wer wollte schon ein Wiesel als Obertier bevorzugen, wenn man einen großen und starken Bären haben konnte; andererseits war es nicht verständlich – konnte denn ein großer und stärker Bär Angst vor einem Wiesel und der Äußerung eines Hundes haben?
Vielleicht hätten Bär, Wiesel und Hund diese Frage – wie andernorts schon erprobt* – in einem Gesangswettwerb geklärt. Aber die Zeit war knapp, der Honig vielleicht auch und der Bär schon leicht ungeduldig. So schickte er dem Hund und der bremisch-stadtmusikalischen Vereinigung nur eine kurze Botschaft, in der er sein Mißfallen an den Baumkritzeleien des Hundes ausdrückte.

Vermutlich war der Bär schon damit zufrieden, daß er überhaupt etwas unternommen und damit seine Größe und Stärke gezeigt hatte, vielleicht ging der Bär auch davon aus, daß der Hund seine Baumkritzeleien schnell entfernen oder zumindest ändern würde. Wir wissen es nicht.
Die Sperlinge pfiffen es von den Dächern als die bremisch-stadtmusikalische Vereinigung – vertreten durch ihr Obertier, die Katze – sich auch noch äußerte. Hund und Katze halt – das ist halt immer ein ergiebiges Thema und man ahnt schon, daß die Äußerung für den Hund nicht besonders angenehm ausfiel. Die Katze forderte vom Hund Neutralität und Pfotengefühl. Als zweites Tier der bremisch-stadtmusikalischen Vereinigung sei er dazu verpflichtet. Der Hund war erbost und berief sich auf die Verfassung der Tiere, die auch ihm ein Recht gibt, seine Meinung in seinen Baum zu ritzen. Auch dies ritzte er natürlich in seinen Baum.

Die Sperlinge hatten viel zu pfeifen in diesen Tagen und waren am Abend sicherlich rechtschaffen müde. Die Tiere waren mittlerweile ermüdet und während Bär und Wiesel sich um die Wahl des Obertiers kümmerten, waren auch Hund und Katze „gut“ beschäftigt.

Der Fuchs lief schweigend neben mir her. Und – fragte ich – wer hat die Wahl des Obertiers gewonnen? Das ist nicht die richtige Frage antwortete der Fuchs. Wichtiger ist eigentlich, ob es irgendjemanden gibt, der nicht verloren hat. Während ich noch über diese Antwort nachdachte, verschwand der Fuchs im Wald. Unter dem nächsten Baum fand ich ein aufgeschlagenes Büchlein – ganz dick stand dort „Meinungsfreiheit“.

* Jorge Bucay: Gesangswettbewerb